Camp Torres – Puerto Natales

Die Torres

Dieses Mal hatte ich mich leider geirrt.

Ich hatte mir für 3 Uhr in der Nacht einen Wecker gestellt und wollte bei klarem Sternenhimmel noch vor Sonnenaufgang zu den Torres aufsteigen um mit Stativ und Kamera bewaffnet Sternenspuren fotografieren zu können. Leider waren aber schon kurz nach Mitternacht Regentropfen am Außenzelt zu hören und das frühe Aufstehen erübrigte sich somit. Ich hab kaum geschlafen und hoffte die ganze Nacht, dass der Regen aufhören würde, aber unser aller Wunsch wurde nicht erfüllt. Dabei war ich mir so sicher, dass das Wetter halten würde! Wenn ich etwas in der Zeit hier hätte gelernt haben sollen, dann ist es die Tatsache, dass unser europäisches Wettergefühl eben nicht auf Patagonien übertragen werden kann …

Trotz Nieselregen machten wir uns schlussendlich eine Stunde vor Sonnenaufgang mit Stirnlampe auf den Weg zum Mirador Torres. Wir packten warme Kleidung ein und versuchten beim Aufstieg mit unseren Regenjacken nicht zu sehr ins Schwitzen zu kommen. Das war leichter gesagt als getan, es war zwar kalt, aber die Luftfeuchtigkeit war sehr hoch und der Weg richtig steil. Alpine Verhältnisse würde ich sagen, große Steinbrocken und das eine oder andere Mal musste man auch die Hände zu Hilfe nehmen. Oben angekommen bot sich uns ein ziemlich trostloses Bild: Der Bergsee hinter dem sich bei gutem Licht die Torres empor erhoben lag nebelverhangen vor uns und von den Zinnen war nichts zu sehen. Wir kauerten uns halbwegs geschützt vom Regen vor einen großen Steinbrocken und warteten. Die Zeit verstrich wie in Zeitlupe und die feuchte Kälte kroch langsam aber unaufhaltsam über Zehen und Fingerspitzen in den Körper hinein. Eine Thermosflasche wäre eine gute Idee gewesen! Seán hatte seinen Schlafsack mitgebracht und wickelte sich darin ein. Dass dieser dabei zunehmend vom Regen durchnässt wurde war ihm egal. Er wollte nicht aufgeben und einfach warten bis der Nebel sich lichtete! Wir waren nicht so geduldig, ich ersparte es mir auch die Kamera auszupacken und ein Foto von der Nebelsuppe zu machen. Nach etwa 45 Minuten war uns so kalt, dass wir beschlossen in das Camp zurückzukehren und erst mal zu frühstücken. Wir waren enttäuscht und ich ärgerte mich, nicht schon am Vorabend hierher gekommen zu sein. Zeit wäre gewesen und die Kraft dafür hätten wir sicher auch noch zusammengekratzt. Aber das war nun eben nicht mehr zu ändern und ich versuchte die Enttäuschung mit den Erinnerungen der vergangenen Tage zu bekämpfen. Alle die hierher in den Park kommen, wollen die Torres sehen, genauso wie jeder Paris-Besucher den Eiffelturm sehen will. Aber was wäre der Eiffelturm ohne Paris? War es nicht eigentlich der Nationalpark und der Trek weswegen wir hergekommen waren? Wir haben hier eine wunderbare Zeit verbracht und mehr geschafft, als wir anfänglich zu hoffen gewagt hatten: Wir haben uns von der Reservierungsproblematik der Camps nicht abhalten lassen, haben uns mit den Witterungsbedingungen arranchiert und den Pass überquert, unseren Zeitplan eingehalten, Doris ist unglaublich tapfer trotz Druckstelle an der Achillessehne den ganzen Trek gewandert – diese Aufzählung könnte ich noch eine ganze Weile fortführen! Die Torres zu sehen ist sicherlich für die meisten Parkbesucher und besonders für die Eintagestouristen der absolute Höhepunkt, aber nach den vergangenen 7 Tagen wäre es für uns eigentlich nur mehr die Goldkante auf einen grenzgenialen Urlaub gewesen. Wer braucht schon Goldkanten? :-)

Der Vollständigkeit halber hier noch eine Google-Bildersuche worauf wir dort oben eigentlich gewartet haben.

Es hat nicht sollen sein.

Der Nieselregen begleitete uns auch beim Abstieg ins Camp und nach einiger Zeit kam auch Seán ohne Erfolgsmeldung zurück.

Zurück nach Puerto Natales

Wir wärmten uns beim Frühstück auf und bauten danach ein letztes Mal unser Zelt ab. Beeilen mussten wir uns nicht, der Bus zurück nach Puerto Natales startete erst um 14 Uhr vom Parkeingang und der Abstieg aus dem Valle Ascencio war in ca. 3 Stunden zu schaffen. Ich hab während des ganzen Abstiegs kein einziges Foto gemacht, erstens gab das Wetter nach wie vor nicht viel her und zweitens hatte ich die Strecke am Vortag schon fotografiert. Wir kamen dank Rückenwind rasch voran, manchmal sogar schneller als uns lieb war! ;-) Nun zeigte sich auch die Sonne wieder am Himmel, aber der Blick zurück hinauf zu den Torres war nicht viel besser als am frühen Morgen: Man konnte zwar mittlweile die Umrisse der Torres im Nebel erahnen, aber es hätte nichts gebracht noch länger oben im Camp zu warten.
Gemeinsam mit ein paar anderen Trekkern erreichten wir um die Mittagszeit die Hosteria Las Torres, wo wir in einem kleinen Kiosk ein Bier kauften und windgeschützt das letzte Packerl Pumpernickel mit Käse und Mayo verzehrten! Beste Jause ever!

Das Shuttle brachte uns schlussendlich zurück zum Parkeingang und zur Bushaltestelle. Mittlerweile hatte sich der Nebel etwas verzogen und ich zückte ein letztes Mal die Kamera um zumindest aus der Entfernung 2 der 3 Torres auf einem Foto festzuhalten – der dritte war von hier aus nicht einsehbar.
Die 2-stündige Busfahrt zurück nach Puerto Natales verging wie im Flug, die Gedanken kreisten um die Erlebnisse der vergangenen Tage.

Dort angekommen checkten wir zuerst in unserem Lieblingshostel ein, machten uns frisch und verabredeten uns für den Abend mit den Leuten, die gemeinsam mit uns den Trek beendet hatten, im Base Camp Pub zu Pizza und Bier. Daraus wurde schlussendlich ein langer, lustiger, mehrsprachiger Abend mit ganz vielen Bieren und noch mehr spannenden Geschichten! ;-)

Was für ein genialer Trek! Was für eine geniale Zeit! Was für ein genialer Urlaub! Und der war noch nicht einmal zu Ende! Uns verblieb noch fast eine ganze Woche in Chile!